Entwicklung der kirchlichen Erwachsenenbildung Bildungsarbeit - Kirchliche Kernaufgabe oder Randerscheinung?

Bildungszentrum Gwatt - Unterstützung der Erwachsenenbildung in Kirchgemeinden

Ende der 1990er Jahre erfuhr der gesamte Bildungsbereich der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn eine grundlegende Veränderung. Bis dahin war das Gwatt-Zentrum als Tagungshaus fester Bestandteil und zentraler Ort kirchlicher Erwachsenenbildung gewesen. Die Bildungsarbeit war geprägt von mehrtägigen bis wöchigen Kursangeboten, gemeinsamen Reisen, viel Raum für gemeinschaftlichen Austausch.
Mehr und mehr schienen jedoch diese längeren Kurse mit Übernachtungen nicht mehr den gewandelten Bedürfnissen vieler Menschen zu entsprechen. Als 1998 der Bildungsbereich im Gwatt-Zentrum geschlossen werden musste und das Bildungsteam in die gesamtkirchlichen Dienste integriert wurde, veränderten sich damit auch die inhaltliche Arbeit und das Konzept der Erwachsenenbildung.

Unbestritten blieb, dass die Bildungsarbeit zu den unverzichtbaren kirchlichen Aufgaben gehört. Bei der Neuausrichtung ging man aber stärker davon aus, dass in den Kirchgemeinden schon seit jeher Erwachsenenbildung geschah. Fortan wurden bewusst die Kirchgemeinden als primäre Träger der Erwachsenenbildung wahrgenommen. Die Aktivitäten der gesamtkirchlichen Dienste richteten sich dagegen vermehrt darauf aus, die Kirchgemeinden bei der Weiterentwicklung erwachsenenbildnerischer Projekte zu fördern und mit neuen Anregungen und Praxishilfen zu unterstützen. Als Zielgruppe der Kurse und Bildungsangebote galten von nun an vorwiegend die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die als Angestellte, Ehrenamtliche oder Freiwillige in den Kirchgemeinden tätig sind.

Bildungsangebote für spezifische Zielgruppen

Um die Angebote auf die Anliegen der Kirchgemeinden auszurichten, wurden die Kurse auf die Arbeit mit spezifischen Zielgruppen zugeschnitten. Dies spiegelte sich auch in den Fachstellen für "Frauen", "Männer" oder "Spiritualität", welche zwischen 1999 und Mitte 2003 bestanden. Sie griffen gesellschaftlich aktuelle Themen auf und setzten damit Impulse, welche in den Kirchgemeinden dankbar aufgegriffen und in eigenen Veranstaltungsangeboten umgesetzt wurden

Kirchliche Erwachsenenbildung - ehemalige Fachstelle Frauen

Schwerpunkte aus der Arbeit der Frauenfachstelle, die 2004 aufgelöst wurde.

Weltweit
Der von Frauen durchgeführte Weltgebetstag (WGT) ist eine der grössten und ältesten ökumenischen Bewegungen weltweit. Das Interesse an den Tagungen im Gwatt-Zentrum zur Vorbereitung der Weltgebetstags-Feiern ist über die Jahre hinweg konstant geblieben. Besonders bereichernd waren die 1998 neu eingeführten Reisen in das jeweilige WGT-Land. Sie gaben Frauen die einmalige Gelegenheit, ein fremdes Land intensiv zu erfahren, den Menschen zu begegnen und die Lebenswelt der Frauen vor Ort zu verstehen. Die Reisen begannen 1998 mit der eindrücklichen Reise nach Madagaskar und führten in der Folge nach Rumänien, Polen, Südafrika, Libanon und Papua Neuguinea. Die mitreisenden Frauen konnten ihre lebendigen Erfahrungen in verschiedenen Gemeinden und am Weltgebetstag weitergeben.

Ökumenisch und interreligiös
In ökumenischer Zusammenarbeit  mit der katholischen Paulusakademie,  der reformierten Heimstätte Boldern und dem Verein Frauen und Kirche Luzern wurde zunächst ein "Ökumenischer Kurs Feministische Theologie" angeboten mit dem Thema "Neuer Himmel – neue Erde?  Reichgottesvisionen von Frauen". Daraus entwickelte sich der erste interreligiöse  Ausbildungskurs für Frauen, in dem Frauen verschiedener Religionen - zumeist Theologinnen - bei der Planung und Durchführung beteiligt waren. 2000/2001: "Frauen in Judentum, Islam und Buddhismus. Theologische Lehren - Religiöse Praxis - Weibliche Traditionen."  2001/2002 dann der 12-tägige interreligiöse Theologiekurs für Frauen "Im Zeichen des Einen". Dieser gut besuchte Kurs trug wesentlich zum Wissen und gegenseitigen Verständnis der Religionen bei und war  zugleich ein Beitrag zur Ökumenischen Dekade zur Überwindung von Gewalt. Wie wichtig und aktuell das Thema war, zeigte sich insbesondere am 11. September 2001.

Leitend
Zu Beginn der Berichtsdekade gab es für Frauen in Pfarrämtern oder im Kirchgemeinderat noch viele Schwierigkeiten und Vorurteile zu überwinden.
Eine von der Fachstelle Frauen und der Frauenkommission des Synodalrates in Zusammenarbeit mit der Universität durchgeführte Untersuchung zeigte auf, dass zwar viele Frauen ein Theologiestudium beendeten, aber nur wenige ins Pfarramt gingen und auch blieben. Mit finanzieller Unterstützung des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frauen und Männern konnte im Anschluss an diese Untersuchung eine ausführliche Befragung in Kirchgemeinden durchgeführt werden.  Die Ergebnisse der Untersuchung und Befragung wurden zusammengefasst in der Broschüre "Frauen verändern das Pfarramt". Es wurde deutlich, wie sehr das Pfarramt und die Erwartungen an die Pfarrpersonen männlich geprägt waren - gleichzeitig aber auch, dass diese Erwartungen an das Pfarramt nicht mehr der Realität entsprechen. Auch männliche Pfarrpersonen gehen nicht mehr zu 100% im Pfarramt auf und werden dabei von der Pfarrfrau in allen Belangen unterstützt. Frauen im Pfarramt haben den Wandel des Berufsbildes nicht herbeigeführt aber offensichtlich gemacht.
 
In den Kirchgemeinderäten waren Frauen anfangs noch in der Minderzahl, vor allem hatten sie kaum Führungsverantwortung inne. Die Kursreihe "Frauen in Ämtern" und "Führung 2000" mit einem breiten Themenangebot von Gesprächsführung über Konfliktlösung, Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu Mediation oder Mobbing hat Frauen zur  Führungsarbeit ermutigt und sie u.a. mit einem Supervisionsangebot dabei unterstützt. Mit der Reihe "Frauen surfen im Internet" - damals noch keineswegs selbstverständlich - haben sich viele Frauen ins Internet gewagt. Damals prüften viele Gemeinden noch, ob die Anschaffung eines Internet-Zugangs nötig sei. So schnell haben sich die Zeiten geändert...  

Gleichgestellt
Zunehmend befasste sich die Frauenfachstelle mit Fragen der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Kirche.  
Ein erster Leitfaden zur sprachlichen Gleichstellung wurde erarbeitet. Wegweisend war sodann die Broschüre "Sexuelle Belästigung und Ausbeutung am Arbeitsplatz Kirche". Sie wurde u.a. in Zusammenarbeit mit der Kantonalen Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern erarbeitet und wurde von anderen Kantonalkirchen in angepasster Form übernommen.

2002 wurde die Fachstelle Frauen aufgelöst und in die Fachstelle Gemeinde-Entwicklung integriert. Wenige Stellenprozente blieben, um die Arbeit der neu gebildeten synodalrätlichen "Delegation Frauenfragen" zu unterstützen. Die Wintersynode 2002 beauftragte die Kirchenleitung, ein Konzept zur betrieblichen Gleichstellung vorzulegen. Dieses Konzept wurde unter der Leitung der "Delegation Frauenfragen"  erarbeitet. Es hatte sich abgezeichnet, dass nicht eine Fachstelle die Gleichstellung der Mitarbeitenden  in der Kirche und in den Kirchgemeinden umsetzen kann, sondern dass das "Chefsache" ist und von der Kirchenleitung getragen sein muss. Durch eine erneute Aufstockung der Stellenprozente (auf insgesamt 10%) für die Delegation Frauenfragen konnten Anliegen der Gleichstellung weitergeführt, bearbeitet  und umgesetzt werden.

Helmute Conzetti

Kirchliche Erwachsenenbildung - ehemalige Fachstelle Männer

Vom 1. November 1998 bis Juli 2002 hatte ich die Chance, im Bereich Bildung der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn mich speziell "Männerfragen" zu widmen. Innerhalb meiner 50% Stelle hatte ich verschiedene Aufgaben, so dass gerade 30-35% der Stelle dafür vorgesehen waren. Nicht allzu viel Zeit, um eine gesellschaftlich wichtige Fragestellung auch aus kirchlicher Sicht zu bearbeiten.

Erleichtert war meine Arbeit dadurch, dass ich auf den Pionierleistungen meines Vorgängers Andreas Borter, der insbesondere im Bereich "Väterarbeit" und "Männergesundheit" schon wichtige Ergebnisse erzielte, aufbauen konnte: so z.B. die alljährlichen Vater-Kind Ferien im Gwatt und die Mitarbeit bei der Erarbeitung eines Manifestes zur Männergesundheit.

Eine sinnvolle Arbeit war nur zu leisten, indem wir uns mit anderen Stellen ähnlicher Zielsetzung vernetzten. Im Raum Bern gab es schon seit längerer Zeit eine Männerbewegung, die sich zum Ziel setzte, die Männer zu sensibilisieren für ihre Eigenverantwortung. Nur wer sich mit sich selber auseinandersetzen kann, kann sich auch mit seiner ganzen Persönlichkeit autonom einbringen. Die Männerbewegung nannte sich "Männer unterwegs mit Männern – kurz MUMM". Da waren einige Männer, die im Rahmen von Freiwilligenarbeit andere Männer beraten haben. Mit diesen habe ich mich vernetzt und dabei ein kreatives und ergebnisreiches Miteinander erlebt. Zusammen führten wir im Winterhalbjahr einmal pro Monat ein Männerpalaver durch. Allein unter Männern übte man sich ein im Hören aufeinander und war bereit, auch über Lebensfragen zu reden, die sonst eher schambesetzt waren. Gemeinsam haben wir immer wieder Treffen veranstaltet für Männer, die sich einer emanzipierten Männergruppe anschliessen wollten. Einige Männer haben sich bei solchen Treffen gefunden, die heute in der Väter- und Männerbewegung vorne mitwirken. Aus diesem Kreis ist auch die heute sehr erfolgreiche "Schweizerische Männerzeitung" entstanden.

Es war u.a. Regula Mader, damals "Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bern", die uns Männer einlud, ja ermahnte, etwas zu tun gegen die immer noch auftretende Gewalt von Männern, insbesondere gegen Frauen – oft in der eigenen Ehe. Mit Umsicht und breiter Unterstützung konnten wir so ganz allmählich die Beratungsstelle "Stopp Männergewalt" ins Leben rufen. Sie leistet nach wie vor wichtige Arbeit. Von Seiten der Fachstelle konnte ich Knowhow, Strukturen und Beziehungen zu anderen kirchlichen Stellen, z.B. Diakonie, aber auch Quellen zur Anstossfinanzierung einbringen. Das Ganze stellt einen glaubwürdigen und wichtigen Beitrag der Kirche zu einem brennenden sozialen Problem dar.

Im Rahmen der Männerarbeit zeigte sich aber auch immer mehr, wie wichtig es ist, die Männer zu ermutigen, auch ihre spirituellen Bedürfnisse zu erkennen, dazu zu stehen und sich mit anderen Männern auf den Weg zu machen. Unvergesslich ist mir, wie berührt Männer waren, an einem Sonntagabend im Chor des Berner Münsters einen Männergottesdienst mit zu gestalten. Eindrücklich war auch, wie wir mit einigen Männern im kargen Malcantone im Tessin – in den Wäldern und auf dem örtlichen Friedhof - nach unseren Wurzeln suchten. Und erst recht erlebte ich engagierteste Männerspiritualität, als wir (zwei männliche Leiter) mit 14 Männern zwei Wochen zu Fuss im Sinai mit Übernachtungen im Freien, begleitet von Beduinen, oft jeder für sich allein in der Stille - sozusagen auf den Spuren der Wüstenväter und von Moses - unterwegs waren: auf der Suche nach uns, nach unseren Lebensentwürfen und dem Getragen Werden von der göttlichen Schutzmacht. Es waren Männer, die einen grösseren Teil ihres Berufslebens hinter sich hatten und so auch im Privatleben nach neuem Lebenssinn suchten. Und solche Fragestellungen wurden in verschiedenen Angeboten im Rahmen dieser Fachstelle immer wieder angegangen.

Es war für mich eine wertvolle Zeit. Die Arbeit im Rahmen der Fachstelle konnte auch vielen Männern Perspektiven aufzeigen von einer gelebten Kirche, innerhalb der traditionellen Strukturen, aber auch mit gewaltigen Perspektiven, die über das herkömmliche Kirchenbild hinausgingen.

Vieles von diesen Erfahrungen konnte ich danach auch wieder im Pfarramt umsetzen. Darüber hinaus habe ich erlebt, wie sehr die dabei gemachten Erfahrungen vielen Männern Orientierungen vermittelten, die manche dann auch in ihre Kirchgemeinden und ihre persönlichen Umwelten einbringen konnten.

Robert Zimmermann

Kirchliche Erwachsenenbildung - ehemalige Fachstelle Spiritualität

Die Fachstelle Spiritualität und ihre Angebote entwickelten sich aus der langen Tradition der Meditationskurse, die seit den 1970er Jahren im Gwatt-Zentrum durchgeführt wurden. Die Elemente Schweigen und Stille erweiterten die Methoden der Erwachsenenbildung über die des Wortes hinaus.

Mit dem Zyklus zur „Schwarzen Madonna“ von 1996 bis 2001 kam ein weiteres wichtiges Medium für die kirchliche Bildungsarbeit  hinzu: das Bild bzw. die figürliche Darstellung religiöser und volkstümlicher Kunst. Die Auseinandersetzungen mit der Bedeutung von Maria und der Mariologie unter unterschiedlichsten Gesichtspunkten, dazu verschiedene Reisen zu den Stätten ihrer Verehrung  eröffneten eine zusätz-liche erwachsenenbildnerische Dimension: die Kunst als Zugang zum Verstehen religiöser Traditionen und zur Spiritualität.

Die Bildungsreihe mit dem Thema „Schwarze Madonna. Ein Zyklus über das Dunkle Weibliche in Kunst und Kirchengeschichte, in Mythologie und Theologie, in Träumen und Bildern und im persönlichen Leben von Frauen und Männern“ war ursprünglich von 1996 bis 1997 für 17 Kurse geplant. Wegen der grossen Nachfrage gab es aber bis 2001 weitere Angebote, so dass insgesamt 25 Veranstaltungen von einem halben bis zu zehn Tagen angeboten und auch durchgeführt wurden. Das un-gewohnte Marien- und Frauenthema  im Rahmen der Bildungsarbeit innerhalb der reformierten Kirche provozierte heftige Diskussionen, so dass der Synodalrat ein öffentliches Hearing verlangte, das im Radio übertragen wurde. In der darauf folgenden professionellen Evaluation des Zyklus wurde seine Wirkung auf die Teilnehmenden in vier Punkten zusammengefasst: 1. Horizonterweiterung und Bereicherung; 2. Unterstützung für die eigene Suche nach Gott und nach dem „eigentlichen Leben“; 3. Bestätigung und Verstärkung des eigenen Weges; und 4.  Vertiefung des Glaubens.

Neu für die bisherige Erwachsenenbildung war der Umstand, dass anstelle von  Einzelveranstaltungen hier eine ganze Bildungsreihe angeboten wurde, was eine andere Ausstrahlung und Überzeugungskraft besass. Im Anschluss erschien eine Broschüre mit dem Titel: „Schwarze Madonna. Nachlese zu einem Bildungszyklus im Gwatt-Zentrum 1996-1998“.

Ein weiterer sich thematisch anschliessender Zyklus hiess: „Mystik. Eine Entdeckungsreise zu den Schätzen abendländischer Mystik“. Auch zu diesem Angebot gab es wieder ein Begleitheft. Die Reihe wurde fortgesetzt und erweitert durch Angebote zum Thema „Mystik in den Weltreligionen“.

Inzwischen galt das Thema „Spiritualität“ nicht mehr als „exotisch“, „esoterisch“ oder gar „katholisch“, so dass ab dem Jahr 2000 viele Vorträge und  Bildungsangebote von Kirchgemeinden, Bezirkssynoden oder Pfarrkonventen angefordert wurden.

Mit der Übersiedlung des Bildungsteams  vom Gwatt nach Bern im Jahr 1998 wurde die Erwachsenenbildung in gewisser Weise heimatlos. Das Gwatt-Zentrum hiess zwar schon länger nicht mehr „Heimstätte“, es bot jedoch noch immer vielen Menschen eine kirchliche Beheimatung. Als damalige Leiterin der Fachstelle „Spiritualität“ machte ich mit dem Zyklus „Wo Himmel und Erde sich berühren. Pilgern zu beseelten Orten“ in den Jahren 2001 bis 2003 aus der Not eine Tugend: Pilgern als eine Möglichkeit, in einer Gruppe und mit einem gemeinsamen Thema zugleich unterwegs und doch daheim zu sein. Bereits mit den zwei voran-gegangenen Zyklen war eine wichtige Erfahrung verbunden gewesen: in der Erwachsenenbildung darf neben Information und Auseinandersetzung das Element der Gemeinschaft nicht unterschätzt werden.

Mit meiner Pensionierung im Jahr 2003 wurde die Fachstelle Spiritualität aufgelöst. Doch findet der letzte Zyklus der Pilgerreisen bis heute eine würdige Nachfolge und inhaltliche Erweiterung in den unterschiedlichen Angeboten zu Pilgerwanderungen oder den Lehrgängen zur Ausbildung von Pilgerbegleiterinnen/ Pilgerbegleitern.

Angela Roemer

Wandel der gesamten Bildungslandschaft

Seither hat ein grundlegender Wandel in der gesamten Bildungslandschaft auch die Rahmenbedingungen für die kirchliche Erwachsenenbildung nochmals tiefgreifend verändert.
Gesamtgesellschaftlich konzentriert sich die Bildungsarbeit mit Erwachsenen zunehmend auf die berufliche Weiterbildung. Diese soll möglichst gezielt und in kurzer Zeit einen anerkannten Abschluss, eine zusätzliche Qualifikation oder einen konkreten Nutzen für die berufliche Arbeit erbringen. Weiter gefasste Angebote im Sinne der Persönlichkeitsbildung, der Befähigung zu mündigem Christsein oder zur gesellschaftlichen Mitgestaltung wurden dadurch zusehends in den Hintergrund gedrängt.

Damit fand sich die kirchliche Erwachsenenbildung in einer verstärkten Situation des "Marktes" wieder, die von einer grossen Vielfalt an Kultur- und Bildungsangeboten geprägt ist. Heutige Menschen wählen aus dieser Angebotspalette gezielt aus, was sie interessiert und wovon sie sich einen Mehrwert für ihr Leben versprechen. Diesen erhöhten qualitativen, zeitlichen und inhaltlichen Ansprüchen zu genügen, bedeutet für die kirchliche Erwachsenenbildung spannende Herausforderungen.

Erwachsenenbildung - Herausforderungen und neue Initiativen

Diese Herausforderungen wurden innerhalb der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn in den letzten Jahren mutig angenommen und neue Initiativen ergriffen. So gründete eine Gruppe Engagierter Anfang 2000 den Verein kirchlicher Erwachsenenbildungsfachleute im Kanton Bern (KEB), welcher sich zum Ziel setzte, die kirchliche Erwachsenenbildung zu fördern und Fachleute durch Erfahrungsaustausch und Weiterbildungen miteinander zu vernetzen.

Inhaltlich trat Mitte Jahrzehnt angesichts der Pluralisierung der Gesellschaft das Bedürfnis nach der Beschäftigung mit theologischen Grundfragen wieder stärker in den Vordergrund. Verschiedene Formen von Glaubenskursen wurden entwickelt und in diversen Kirchgemeinden durchgeführt. So etwa "Alphalive" oder der von der Zürcher Landeskirche übernommene "Glauben 12 - das reformierte Einmaleins".
Diese Absicht ist auch mit dem dreijährigen Evangelischen Theologiekurs (ETK) verbunden, der auf lebensbezogene Weise in die Theologie einführt und zur Auseinandersetzung mit existenziellen Lebens- und Glaubensfragen anregt. Dazu fasste die Synode im Sommer 2006 einen wegweisenden Beschluss: künftig sollten die Theologiekurse als wesentliches Element der kirchlichen Bildungslandschaft regelmässig regional angeboten und von den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn koordiniert und finanziell unterstützt werden.

In all dem drückt sich die Überzeugung aus, dass Bildung ganz wesentlich zum Selbstverständnis der reformierten Kirche gehört. Denn: Kirchenmitglieder gelten als mündige Menschen, denen eigenes Denken, Urteilen und Handeln zugetraut wird. Bildung bietet die Möglichkeit, wesentliche Elemente der christlichen Tradition selbst kennenzulernen und befähigt zu eigenverantwortlichem Glauben, aber auch zur Mitsprache und Mitgestaltung in Kirche, Staat und Gesellschaft.

Diese Überzeugungen fanden 2009 auch Eingang in die neuen "Richtlinien für die Erwachsenenbildung in Kirchgemeinden" (KES 46.010), welche auf der Basis des Erwachsenenbildungsartikels in der Kirchenordnung (Art. 72) erarbeitet wurden. Sie bestätigen die Bildungsarbeit als wichtige Teilaufgabe einer Kirchgemeinde und enthalten eine grundsätzliche Klärung, was inhaltlich und methodisch unter einer zeitgemässen Erwachsenenbildung in Kirchgemeinden verstanden werden kann.

Zukunftsperspektiven

Wie aber sieht die Zukunft der kirchlichen Erwachsenenbildung aus?
Eine lebendige Kirche braucht auch künftig Menschen, die die christliche Tradition kennen und sich mit ihr auseinandersetzen. Der Bereich Gemeindedienste und Bildung möchte die Kirchgemeinden deshalb weiterhin im Aufbau und der Weiterentwicklung ihrer erwachsenenbildnerischen Angebote unterstützen. Der Verleihung neuer Anregungen dient unter anderem die jährliche, ökumenisch getragene Impulstagung zur Erwachsenenbildung. Darüber hinaus sieht der Bereich seine Aufgabe in erster Linie in einer "Drehscheibenfunktion". Dazu gehört etwa die Ideenbörse zum Austausch überzeugender Themeneinheiten und Kursprojekte, aber auch die bessere Vernetzung von Fachpersonen oder Referenten. Siehe Link: Ideenbörse.

Relativ klar ist auch, dass die regionale Zusammenarbeit in der Erwachsenenbildung immer wichtiger werden wird, da der zeitliche und ressourcenmässige Aufwand für gute Projekte eine einzelne Kirchgemeinde überfordert. Regional böte sich hingegen die Chance, sichtbarere inhaltliche Akzente zu setzen.

Bezüglich Zielgruppen sind heute weniger die sozialen Schichten als vielmehr die Lebensgewohnheiten, Einstellungen, Werte oder ästhetischen Vorlieben der Menschen prägend, die sich in unterschiedlichen Milieus zusammenfassen lassen. Auch in der Erwachsenenbildung wird es noch wichtiger werden, sich genauer zu fragen, auf welche Milieus sie ihre Angebote jeweils ausrichten will.
Eine in weiten Teilen immer stärker urban geprägte Bevölkerung in der Schweiz wirft zudem die Frage auf, welche Angebote im spezifisch städtischen Raum - am Arbeits- und Freizeitort dieser Menschen - zu machen wären.

Und nicht zuletzt wird es darum gehen, sich mit der Bildungsarbeit stets von Neuem auf die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen einzulassen und so im öffentlichen Diskurs präsent zu bleiben. Wenn es gelingt, Angebote vermehrt auch in Zusammenarbeit mit anderen Partnern aus Kunst, Kultur, Wissenschaft, Politik oder Umwelt zu entwickeln, verspricht die Erwachsenenbildung auch in Zukunft gegenseitig bereichernd, Horizont erweiternd und spannend zu bleiben.

Annemarie Bieri