Refbejuso oder der Wille, zwei Sprachen zu ihrem Recht kommen zu lassen

"Die Schweiz ist eine Willensnation!", hört man oft in politischen Diskussionen. "Wir sind eine zweisprachige Kirche", bekräftigen die Verantwortlichen unserer Kirche. Aber reicht der blosse menschliche Willen aus, um zwei Sprachen zu sprechen? Und wie soll aus einer von den Zufällen der Geschichte, von politischen und institutio­nellen Grenzen diktierten, "theoretischen" Realität eine authentische und tatsächlich gelebte Dimension werden? Während des vergangenen Jahrzehnts hat unsere Kirche zahlreiche Anstrengungen unternommen, damit die zwei Sprachen auf allen Ebenen miteinander in Dialog treten.

Die Geschichte und die geographische Lage im Zentrum der mehrsprachigen Nation Schweiz bringen es mit sich, dass sich unsere Kirche im Schnittpunkt zwischen dem französischsprachigen und dem deutschsprachigen Raum wiederfindet. Diese Realität unterscheidet sich nicht stark von der Art und Weise, wie der Kanton Bern politisch und institutionell funktioniert, mit Ausnahme vielleicht einer (doppelten) Besonderheit, die unsere Kirche doch aufweist: Einerseits die Vereinigung zweier Kirchen unter dem Dach eines Synodalverbands – d.h. die bernische Kirche und die Kirche von Republik und Kanton Jura – darunter ca. 60'000 französischsprachige Personen reformierten Glaubens, und andererseits das Aufeinandertreffen von zwei reformierten Traditionen, nämlich der eher zwinglianisch geprägten deutschsprachigen Tradition und der eher calvinistisch geprägten französisch­sprachigen Tradition. Diese doppelte Realität – theologisch und institutionell – verleiht dem Synodalverband und dessen Behörden einen besonderen Stellenwert im schweizerischen Protestantismus. Sie ist sicherlich eine Quelle der Vielfalt, bringt aber auch Erwartungen und Herausforderungen bezüglich Engagement und Präsenz mit sich, über Biel-Bienne hinaus in Richtung der gesamten Westschweiz.

Nachdenken über Zweisprachigkeit

In den Grundsätzen, welche die Umsetzung der Legislaturziele 2004-2007 bestimmen, hat der Synodalrat mit Bestimmtheit, aber auch mit einem leichten Schuss Dramatik Folgendes festgehalten: "Wir vergessen nie, dass wir eine zweisprachige Kirche sind". War die Kirche also in Gefahr, ihre Zweisprachigkeit "zu vergessen"? Oder machte sich angesichts neuer Ansprüche, welche die Umsetzung besonderer Massnahmen erforderte (insbesondere, was die Kommunikation anbelangt), ein neues Bewusstsein breit?

2005 wurde auf Vorschlag der Delegation Jura-CER eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese wurde von Samuel Lutz, dem damaligen Präsidenten des Synodalrats, geleitet. Die Arbeitsgruppe hatte die Aufgabe, einen Bericht zur aktuellen Situation der Zweisprachigkeit und der zweisprachigen Kohabitation in unserer Kirche auszuarbeiten, aber auch Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Während der ersten Dekade des zweiten Jahrtausends war das Thema in den öffentlichen Debatten sehr präsent, besonders im Schulbereich, und profitierte von einem Aufschwung in der Meinungsgunst. Stellt das Beherrschen von zwei Sprachen nicht einen Mehrwert für das Individuum dar? Und müssten sich die Institutionen und Behörden, und darunter insbesondere jene, die im Service Public tätig sind, nicht mit Nachdruck für die Sache einsetzen?

Was aber heisst "zweisprachig sein" für die Kirche? In ihren Überlegungen kam die Arbeitsgruppe rasch einmal zum Schluss, dass es Sinn macht, zwischen "institutioneller" Zweisprachigkeit und "kultureller" Zweisprachigkeit zu unterscheiden. Anders und klar ausgedrückt: Erstere kann mittels Verordnungen, Leitlinien und Entscheiden geregelt werden, letztere ist eher eine Sache der Akzeptanz und des Respektierens von Unterschieden, von Sensibilität, oder gar von "Feeling".

Die Arbeitsgruppe erstellte schliesslich ein Inventar, das die Auswirkungen des zweisprachigen "Reflexes" auf den Alltag der Institution auflistete: Denkt man bei der Neubesetzung einer Stelle wirklich und in genügendem Umfang an die Französisch­kenntnisse, die für die Stelle benötigt werden? Und kommt es nicht vor, dass ein Antwortbrief des Synodalrats auf Deutsch verfasst wird, obwohl er eigentlich in Französisch geschrieben werden müsste? Oder denkt man bei der Ausarbeitung eines Projekts, einer Aktionsachse der Kirche, an die Regionen mit der sprachlichen Minderheit? Wurde für die Übersetzung ein realistischer Zeitplan bedacht? Und wird bei der Abfassung eines Konzepts daran gedacht, die Inhalte auf die linguistische und kulturelle Realität des anderen anzupassen?

Auf der Grundlage solcher Fragen und unter Berücksichtigung der oft negativen Feststellungen, die anstelle von tragbaren Antworten gefunden wurden, stellte die Arbeitsgruppe einen ganzen Katalog von Massnahmen auf, die es umzusetzen gelte:

  • Erlasssammlung: Sämtliche Erlässe, die für die Gesamtheit der Regionen gelten, die in den Bezirk der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn fallen, sollten in beiden Sprachen verfügbar sein.
  • Synode: Die Kommunikation über die Beratungen und Entscheide der Synode sollte verbessert werden (Pressedienst der Synode).
  • Gesamtkirchliche Dienste: Es würde der Sache dienen, wenn in den verschiedenen Arbeitsbereichen über die Sprachgrenzen hinweg Kontakte geknüpft und wenn vertiefte Überlegungen in Bezug auf die Zielgruppen angestellt würden.
  • Struktur: Eine (Neu)Positionierung des Übersetzungsdienstes in der Kanzlei sollte ins Auge gefasst werden.
  • Personal: Die Anstellung von Französischsprachigen sollte gefördert werden, und die Sprachkompetenzen der Mitarbeitenden verstärkt.
  • Kommunikation: Die modernen Kommunikationsmittel (Internet) sollten in beiden Sprachen und mit einem angepassten Inhalt verfügbar sein.

In seiner Sitzung vom 21.06.2006 nahm der Synodalrat vom Bericht der Arbeitsgruppe detailliert Kenntnis, hiess praktisch sämtliche Vorschläge gut und drängte darauf, sie umzusetzen. In den Augen des Synodalrats konnte es in dieser Sache nichts Schlimmeres geben als einen Bericht, der ein Papiertiger bleiben würde!

Umsetzungen

Wo stehen wir nun am Ende der Dekade? Das gesamte Paket der getroffenen Massnahmen und der effektiv erreichten Ziele sei nachfolgend kurz zusammengefasst:

  • Erlasssammlung: Seit 2006 wurden die bestehenden Lücken im Korpus der Erlasssammlung geschlossen, es wurden mehr als 15 Reglemente und Weisungen übersetzt.
  • Synode: Die Übersetzung der Schlussmitteilungen ist gesichert, und der Kirchenpresse, resp. der französischsprachigen öffentlichen Presse werden die Schlussberichte praktisch zur selben Zeit ausgehändigt wie ihren deutschsprachigen Pendants.
  • Gesamtkirchliche Dienste: Bestimmte Projekte wurden einer spezifischen "Ausdifferenzierung" unterzogen. Betroffen waren in erster Linie die Publikationen, für die entsprechende Anpassungen künftig zwingend verlangt sind (Bibliographien, nützliche Adressen auf die französischsprachige Bevölkerung ausgerichtet, zuweilen sogar Ergänzung durch spezifische Inhalte).
  • Struktur: Der Übersetzungsdienst wurde tatsächlich in die Kanzlei integriert. Ebenfalls war gegen Ende der Dekade ein französischsprachiger Kommunikationsdienst im Aufbau begriffen.
  • Personal: Gegen Ende des Jahrzehnts wurden – nach Abklärung der Bedürfnisse – Kurse in französischer Sprache konzipiert und ausgearbeitet. Das Angebot umfasst Auffrischungskurse auf verschiedenen Niveaus sowie Kurse für Fortgeschrittene, aus denen heraus ein "Café francophone" entstand – ein Ort, an dem, unabhängig vom Kenntnisstand der Teilnehmenden, die jeweils andere Sprache gesprochen wird. Refbejuso hat zudem das Französische als wichtiges Kriterium der Anstellungsverfahren etabliert. Der Anteil von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die über sehr gute Französischkenntnisse verfügen, wurde erhöht. Man zählt allerdings nur gerade drei Mitarbeitende französischer Muttersprache.
  • Kommunikation: In diesem Bereich wurden zweifellos die grössten Anstrengungen unternommen. Mit der Neugestaltung der Internetseite Refbejuso wurde eine Dynamik in Gang gesetzt. Von Beginn weg war geplant, eine französischsprachige Version der Seite anzubieten, die nicht einfach eine Übersetzung der deutschspra­chigen Ausgabe sein sollte, sondern eine auf die Frankophonen angepasste Version, die in der Wahl der redaktionellen Themen eigenständig und im französischsprachi­gen Bereich unserer Kirche gut verankert ist. Diese Internet-Dynamik machte eine verbesserte Koordination der Informationsflüsse und ihrer Ausrichtung auf potenzielle Zielpersonen, besonders in Kirchgemeinden und Schwesternkirchen der Romandie, unabdingbar. Ein französischsprachiger Kommunikationsdienst war im Aufbau begriffen und sollte im Organisationsreglement der gesamtkirchlichen Dienste fest verankert werden.

Bilanz und Lösungswege für die neue Dekade

Darauf dürfen wir durchaus stolz sein: Trotz der finanziell und personell beschränkten Mittel, die für die Zweisprachigkeit und die gleichberechtigte Behandlung der beiden Sprachen zur Verfügung stehen, hat unsere Kirche im Verlauf der vergangenen Dekade riesige Schritte unternommen. Und insbesondere hat unsere Kirche mit den Sprachkursen und der Schaf­fung eines mit einer gewissen Autonomie ausgestatteten Kommunikationsdienstes begriffen, dass die kulturelle Dimension der anderen Sprache und der betroffenen Region in sämtliche Überlegungen und Schritte mit einbezogen werden muss, und dass aus dieser kulturellen Dimension etwas gleichzeitig Lebendiges und Lebbares hervorgehen muss.

Darf man sich jetzt schon auf den Lorbeeren ausruhen? Hat der 2003 erfolgte Aufruf des Synodalrates ("Wir sind eine zweisprachige Kirche") an Dringlichkeit eingebüsst? So weit möchten wir (noch) nicht gehen. Wir kommen zurück zu unserem Anfangsbild von der "Willensnation", einer Gemeinschaft also, die sich aus freien Stücken dazu entschliesst, gemeinsam zu leben. Ist die Zweisprachigkeit, ohne eine "physische" Nation darzustellen, nicht auch eine Art Heimat, die hervorgegangen ist aus einem Entschluss, aus einem politischen Willen, aus dem Glauben an den Reichtum, den das Zusammenleben von zwei Sprachen und zwei Kulturen einer Gemeinschaft bringen kann?

Und läuft die Debatte nicht Gefahr, unter dem Einfluss von zwei nur schwer vorhersehbaren Entwicklungen eine neue Dimension anzunehmen? Die erste dieser Entwicklungen ist die institutionelle und politische Evolution des Gesamtjuras, und die zweite die Verengung und der Rückgang des reformierten Raumes in der französischsprachigen Schweiz, die ein (über)eiliges Näherrücken der verschiedenen Kantonskirchen nach sich ziehen. Könnte es nicht sein, dass sich die kommende Dekade mit einer totalen Umwälzung der französischsprachigen reformierten Geopolitik konfrontiert sieht, mit einer Unmenge an neuen Aufgaben, besonders im Bereich Kommunikation? Ist sie darauf vorbereitet?

Bertrand Baumann

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