Seelsorge in den Spitälern des Kirchgebiets - Spitalbesuche der Ortspfarrerin und des Ortspfarrers im Wandel der Zeit

60 Prozent aller Ortspfarrpersonen besuchen auch heute noch regelmässig die Mitglieder ihrer Kirchgemeinden im Spital. Seit 2001 ist die Zahl der Spitalbesuche jedoch gesunken. Ortspfarrpersonen sind heute wesentlich mehr auf Absprachen sowie auf ihr Organisations- und Planungsgeschick angewiesen.

"Seit den Anfängen gehört die Seelsorge an kranken und pflegebedürftigen Menschen zu den Kernaufgaben der Kirche. Das ist bis heute so geblieben, obwohl sich vieles verändert hat und das Gesundheitswesen zu einer staatlichen Aufgaben geworden ist." [1] Der Seelsorgedienst im Spital muss sich denn immer wieder auf  neue Rahmenbedingungen ausrichten. In den vergangenen zehn Jahren haben sich diese Schweiz-weit und damit auch in unserem Kirchengebiet stark verändert. So wurde unter anderem in den öffentlichen Spitälern spitalintern die Seelsorge (= Spitalseelsorge) auf- bzw. ausgebaut.

Werden kranke Menschen im Spital von der Kirche heute nicht mehr wahrgenommen?

Im Rahmen des Jahrzehntberichts gingen wir von folgender These aus:
Die Seelsorgearbeit der Ortspfarrpersonen im Spital hat sich im vergangenen Jahrzehnt aufgrund des Auf- und Ausbaus der Spitalseelsorge stark verändert.

Die Überprüfung erfolgte gestützt auf einen entsprechenden Fragebogen, der an 28 Kirchgemeinden versandt wurde. Angesichts der Rücklaufquote (65%) und der Auswahl der Kirchgemeinden - sie repräsentieren die verschiedenen Gemeindetypen – lassen sich fünf Schlussfolgerungen aus der Umfrage auf das ganze Kirchengebiet übertragen.

1. Patientenbesuche im Spital: für Ortspfarrpersonen eine Kernaufgabe

Zwischen 2001 und 2010 sank die Zahl der Patientenbesuche durch die Gemeindepfarrpersonen im Kirchengebiet um rund 30 Prozent. 60 Prozent der Ortspfarrpersonen besuchen aber nach wie vor regelmässig ihre Kirchgemeindemitglieder im Spital.
 
Viele unter ihnen sind überzeugt, dass der Besuchsrückgang und die veränderten Rahmenbedingungen die Qualität ihrer Besuche nicht beeinflussen: "Das Ziel der Besuche (Kontakt Kirchgemeinde – Patient/in) ist gleich geblieben" und "Einzelbesuche sind abhängig von Pfarrpersönlichkeiten. Diese Qualität lässt sich nicht messen, bzw. hat sich nicht verändert", lauten zwei Begründungen.

Jene 40 Prozent, welche eine qualitative Veränderung ihres Aufgabenbereichs feststellen, führen diese auf Veränderungen im Spitalbetrieb zurück sowie darauf, dass sie sich seit 2001 ausbildungsmässig besser für diese Aufgabe qualifiziert haben.

2. Veränderte Rahmenbedingungen erschweren den Spitalbesuch

Dass Ortspfarrpersonen 2010 weniger oft als 2001 im Spital anzutreffen waren, hängt für die Mehrheit nur beschränkt mit dem Auf- und Ausbau der Spitalseelsorge zusammen. Für sie sind hauptsächlich die vier nachfolgenden Faktoren dafür verantwortlich (Reihenfolge entspricht der Zahl der Nennungen):

  • die Reduktion der Aufenthaltsdauer
  • die strengere Handhabung des Datenschutzes
  • die vermehrte Zuweisung der Patienten und Patientinnen an die Zentrumsspitäler
  • Therapieprogramme im Stundentakt

"Kurzaufenthalter/innen haben weniger Chancen auf einen Pfarrbesuch, vor allem bei externen Spitalorten". "Patienten werden so rasch entlassen, dass mir zeitlich ein Besuch gar nicht möglich ist.", bzw. "Es kann sein, dass man Patientinnen und Patienten, die man besuchen will, nicht mehr antrifft", so der Tenor in Bezug auf die kürzere Spitalaufenthaltsdauer.

Oder mit Blick auf den Datenschutz. "Der strengere Datenschutz ist zwar verständlich, der seelsorgerlichen Betreuung ist er aber nicht dienlich." Die Auskunftsbeschaffung wurde aufwändiger: "Der Pfarrer erfährt oftmals nichts, was sehr schlecht fürs Ortspfarrerimage - gerade für den Pfarrer einer Landgemeinde - ist." Weil immer mehr Leute einem Zentrumsspital zugewiesen werden, wiegt der strengere Datenschutz noch schwerer: "Der Überblick und die Kontrolle gestalten sich schwieriger". Kurz und prägnant beschreibt eine Pfarrperson die Situation in diesem Kontext wie folgt: "schlechtere Info - längere Wege". Weil auch immer engmaschigere Therapiepläne den Raum fürs Seelsorgegespräch einschränken, wachsen die Anforderungen an das 'Organisationsgeschick' und die Geduld der Ortspfarrperson. 'Belohnt' werden sie allenfalls durch eine "'zwangshafte Kaffeepause", wenn sie im Spital auf ein Kirchgemeindemitglied warten - so eine der befragten Personen vermutlich augenzwinkernd.

3. Auswirkungen auf die Beziehung Kirchgemeinde – Ortspfarrpersonen?

Die Ortspfarrpersonen sind sich nicht einig, ob und wie sich die erschwerte Besuchstätigkeit ihr Beziehungsgeflecht in der Kirchgemeinde tangiert. Gegen die Hälfte unter ihnen ist überzeugt, dass ihre Beziehungen zu den Gemeindemitgliedern nicht von den Spitalbesuchen abhängen. Eine Person findet es sogar beziehungsförderlich, dass sie dank des strengeren Datenschutzes "nur Leute besucht, die einen Pfarrbesuch wünschen".

Etwas mehr als die Hälfte spricht hingegen von der verpassten Chance, neue Leute (im Spital) kennenzulernen. Mangels Information ist es nicht mehr möglich, sich nach dem Wohlergehen eines Mitglieds zu erkundigen, das kürzlich im Spital war. Das trage dazu bei, dass "sich die Erwartung der Kirchgemeindemitglieder nach der Seelsorge" zunehmend reduziere.

4. Spitalseelsorge wird grundsätzlich positiv und als entlastend beurteilt

Angesichts der veränderten Rahmenbedingungen beurteilt die Mehrheit der Ortspfarrpersonen den Auf- und Ausbau der Spitalseelsorge und deren Professionalisierung positiv. Einige fordern den Synodalrat sogar auf, dass in allen Spitälern entsprechende Stellen geschaffen werden. "Es ist gut zu wissen, dass auch eine qualifizierte Kollegin arbeitet, wenn ich keine Zeit habe und dass die Möglichkeit der Seelsorge gegeben war, wenn ich ein Kirchgemeindemitglied nicht erreichen konnte."

Für das Ortspfarramt wirkt die Spitalseelsorge aber nur entlastend, "wenn ihr im Stellenbeschrieb Rechnung getragen wird" und wenn die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch mit der Spitalseelsorge klappt. Damit lasse sich auch die Doppelbetreuung der Patienten / Patientinnen durch die Ortspfarrperson und die Spitalseelsorgenden verhindern.

Einige merken allerdings an, dass sie die Spitalseelsorgenden ihrer Kirchgemeindemitglieder nicht kennen, es insbesondere zu wenig Infoaustausch zwischen den Zentrumsspitälern und den kleineren Landkirchgemeinden gebe.

5. Es braucht eine noch bessere Rollenklärung zwischen der Spital- und der Ortsseelsorge

Die Frage, ob sich zwischen den  Spitalseelsorgenden und den Ortspfarrpersonen in den vergangenen Jahren eine Rollenteilung eingespielt habe, wird von 62 Prozent der Ortspfarrpersonen bejaht. Hingegen verneinen 58 Prozent die Frage nach einer eingespielten Zusammenarbeit. Einig sind sich aber alle, dass es eine solche zum Wohl der Kirchgemeindemitglieder braucht. Zudem stärke und profiliere eine funktionierende Zusammenarbeit den kirchlichen Seelsorgedienst als Ganzes, wo immer er erbracht wird. Verschiedene Befragte weisen darauf hin, dass ein Miteinander nur gelingt, wenn die unterschiedlichen Rollen klar definiert und die jeweiligen Kompetenzen geregelt sind, und fordern entsprechende koordinierende Massnahmen.

Optimierungspotential orten die Ortsseelsorgenden vorab bei den Informationsabläufen zwischen den Seelsorgenden im Spital und jenen in der Kirchgemeinde. Aus ihrer Sicht ist sicherzustellen, dass der Gemeindepfarrer/die Gemeindepfarrerin umgehend über einen Spitaleintritt und -austritt eines ihrer Mitglieder informiert ist. Sie möchten durch den Spitalseelsorger/die Spitalseelsorgerin vor dem Spitalaustritt ihres Kirchgemeindemitglieds zwecks Absprache der seelsorgerlichen Nachbetreuung kontaktiert werden und Näheres über allfällige besondere Vorfälle während des Spitalaufenthaltes erfahren. Zudem gelte es, klare Vereinbarungen bezüglich der Kasualien zu schaffen und die Patienten, Angehörigen und Kirchgemeindemitglieder über diese sowie über die unterschiedlichen Rollen der Orts- und Spezialseelsorge zu informieren.

Seelsorge im Spital 2010: eine Kernaufgabe der Kirche unter neuen Rahmenbedingungen

Die Umfrage widerlegt somit die eingangs formulierte These: Es sind die gleichen Gründe, welche den Ortspfarrpersonen die Seelsorgetätigkeit im Spital erschweren und die zum Ausbau der Spitalseelsorge führten.

Die Umfrage zeigt aber auch, dass nach wie vor mehr als die Hälfte der Ortspfarrpersonen ihre Kirchgemeindemitglieder regelmässig auch im Spital seelsorgerlich begleiten und dies von ihnen auch erwartet wird. Der vorangehend beschriebenen neuen Rahmenbedingungen wegen können sie diesen Erwartungen jedoch nur beschränkt entsprechen. Für sie ist es deshalb "gut zu wissen, dass jemand vor Ort (= im Spital) die religiösen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten abdeckt" und dank den Spitalseelsorgenden die seelsorgerliche Betreuung auch bei kürzeren Spitalaufenthalten gewährleistet bleibt. Sie hoffen, dass ihre Kolleginnen und Kollegen im Spital in Zukunft  stärker als heute die Brückenfunktion zwischen Ortspfarramt und Spital wahrnehmen können und dass dank dieser Vernetzung eine situationsgerechte Seelsorge vor Ort und im Spital angeboten werden kann.

Beatrice Pfister, Peter Willener, Andreas Gund

 


[1] Spital-, Klinik- und Heimseelsorge. Leistungsprofil und Qualitätsstandards, IKK, 2011, S. 4

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