Die Evangelischen Gesellschaft
Die Mitglieder ihrer Hauptversammlung gehören fast ausnahmslos der Landeskirche an; mit kirchlichen Fragen befasst sich die Gesellschaft hingegen nicht. Ihr Auftreten wird verschieden beurteilt. 1878
Die Evangelische Gesellschaft hat über das ganze Land ein Netz von "Stunden", d.h. Gesellschaftsversammlungen ausgespannt, in denen eine Anzahl eigens dazu angestellter Stundenhalter (Evangelisten) oder auch ihr angehörende Geistliche der Landeskirche oder ehemalige Missionare tätig sind und zu denen der Zutritt übrigens Jedermann offen ist. 1882
Die evangelische Gesellschaft könnte unserm Volke noch grössere Dienste leisten, wenn sie sich fester an die Landeskirche anschliessen, zu den Sekten eine klarer ablehnende Haltung einnehmen, sich ja des gesonderten Gebrauchs heiliger Sakramente enthalten und den immer stärker fühlbar werdenden fremdartig methodistischen Einwirkungen kräftiger widerstehen wollte. 1882
Die Schrenk’schen Erweckungsversammlungen waren massenhaft besucht. Weniger was er sagt, als wie er es sagt, machen seine Reden höchst wirksam für die Massen. 1886
Nach unseren Berechnungen, die vermutlich noch unter der wirklichen Zahl bleibt, hält die evangelische Gesellschaft in 181 grösseren und kleinere Lokalitäten ihre gottesdienstlichen Versammlungen. 1886
Für die evangelische Gesellschaft ist die Zeit der bescheidenen "Stunden" und Stundenhalter und der "Stillen im Lande" vorbei. Sie ist, ob sie es wolle oder nicht, eine kämpfende und vielfach bekämpfte kirchenpolitische Partei geworden. 1886
Gerade die in neuester Zeit zahlreich entstandenen Kapellen und Vereinshäuser der evangelischen Gesellschaft bedeuten einen Wendepunkt in ihrer Geschichte, der von sehr ernster Bedeutung werden könnte, denn diese grossen Gottesdienstlokale verlangen nicht mehr schlichte Stundenhalter, sondern Pfarrer, Predigerschüler, besser gebildete Evangelisten, die sich unter ihren "Gemeindegliedern" schon einigermassen als Pfarrer fühlen und benehmen; in diesen grossen Lokalen wird schon da und dort gerade um die Stunde des öffentlichen Gottesdienstes der Gesellschaftsgottesdienst gehalten, sogar mit Abendmahlsfeier. 1886
Dass sie, innerlich von der Landeskirche längst losgelöst, darauf ausgehe, sich auch äusserlich völlig selbständig als besondere Kirche oder Gemeinschaft zu organisieren, diesen Vorwurf weist die Gesellschaft energisch zurück. 1886
Die bedeutendste innerkirchliche Gemeinschaft unseres Kantons. Ihre Mitglieder seien die fleissigsten Predigtgänger, sie treten durchaus nicht schroff und einseitig auf. Trotzdem dürfen wir uns nicht verhehlen, dass eine gewisse Missstimmung, ja ein tieferes Misstrauen gegen diese Gesellschaft um sich gegriffen hat, und zwar bei der Rechten. Viele klagen, dass durch die Feier des Abendmahls in den Kapellen und Vereinshäusern die Gemeindegenossen abgezogen werden von der gemeinsamen Feier des Sakraments. 1890
Die evangelische Gesellschaft weiss, was sie will: eine vom Staate unabhängige Kirche auf durchaus positiver Grundlage. 1894
Indessen erhebt sich lauter Protest dagegen, dass sie immer und immer wieder als eine Stütze der Landeskirche proklamiert und doch keine Verhütungsmassregeln ergreift, wenn ihre Prediger auf ihren einzelnen Stationen die Stellung de Landeskirche systematisch erschüttern wollen. 1894
Die Leute der evangelischen Gesellschaft gehören zu den treuesten Teilnehmern am Gottesdienst und am heiligen Abendmahl. Mit seltenen Ausnahmen zeigen sie sich der Landeskirche freundlich. 1898
Einige entziehen ihre Kinder der Unterweisung und schicken sie nach Bern, um ihnen dort eine abgekürzte Unterweisung geben zu lassen. 1898
Die nach ihrer eigenen Versicherung noch innerhalb der Landeskirche stehende Evangelische Gesellschaft ist in gewaltigem Vormarsch begriffen. Sie hat die Zahl ihrer Stationen in den letzten 4 Jahren verdoppelt. 1902
Wie stellt sie sich zur Kirche? Diese alte, vielaufgeworfene Frage kann auch heute nicht abschliessend beantwortet werden. 1902
Auffallenderweise rühren die ernstesten Klagen von durchaus positiver Seite her. 1902
Viele, die der Landeskirche durchaus nicht untreu werden wollen, besuchen jetzt fast lieber die Versammlungen der Gesellschaft als die Predigt, aus verschiedenen Gründen. 1902
Ich weiss wohl, dass man die evangelische Gesellschaft gewöhnlich nicht zu den Sekten zählt. Solange aber diese Evangelischen sich so streng absondern, vom Gottesdienst sich abschliessen und die Kinder der kirchlichen Taufe, Kinderlehre und Unterweisung entziehen, kann ich diese Leute nicht als Glieder unserer Landeskirche betrachten. 1902
Ihre Prediger wenden sich mitunter mit aller Schärfe gegen die Kirche. 1902
Das Urteil über ihre Wirksamkeit lautet sehr verschieden. 1906
Die Evangelische Gesellschaft will, ihrem offen zugestandenen Zwecke nach, die "Gläubigen" innerhalb der Landeskirche sammeln und stärken. Da sie das aber meist ohne rechte Fühlung mit dem Pfarramte tut, so erhält ihr Wirken von selbst einen freikirchlichen Zug und durchkreuzt die bestgemeinten Absichten des von der Gemeinde gewählten Seelsorgers. 1906
Die Einseitigkeit der Chrischona hat seit den Tagen ihrer Gründung darin bestanden, dass man dort kein Verständnis hatte für die Aufgabe einer Volkskirche im Unterschied von einer Versammlung, und ebenso wenig Verständnis für die Aufgabe der Theologie als der Wissenschaft, in welcher der Inhalt des christlichen Glaubens in freier Gedankentätigkeit verarbeitet werden muss. Man verwechselte dort den christlichen Glauben mit der "reinen Lehre." 1909
So mischt sich unter die Achtung gegenüber der Arbeit der Evangelischen Gesellschaft der aufrichtige Wunsch, dass es ihr gelingen möchte, den engen Richtgeist zu überwinden, der um nichts besser ist als der hochmütige Kirchengeist, und den beschränkten Eigensinn, der sich für Glaubenstreue ausgibt. 1909
Wo von dieser Vereinigung die Rede ist, da prallen die Meinungen heftig aufeinander. 1920
Es geht dem Pietismus weithin das religions-psychologische Verständnis ab, dass heisst: Er gibt nicht zu, dass neben seiner Art noch andere vollberechtigte Arten des Christentums bestehen können. 1920
Hier ein leidliches, dort ein getrübtes, am einen Ort ein freundliches, am andern ein gespanntes Verhältnis. 1920
Die Evangelische Gesellschaft hat eine grosse Aufgabe innerhalb unserer Kirchgemeinde, bei dem mächtigen piestistischen Hang unserer Bevölkerung. 1940
Da die Evangelische Gesellschaft auch Morgengottesdienste hält und sich überhaupt zur eigentlichen Freikirche gewandelt hat, indem ihr Prediger regelmässig tauft, traut und konfirmiert, hat sich bei aller Achtung gegenseitig manchmal auch etwas wie eine Spannung entwickelt, indem wir gegen Übergriffe auftreten mussten. 1940
Die Mitglieder der Evangelischen Gesellschaft zählen zu den treusten Kirchenleuten. 1950
Könnte nicht in jenen Gemeinden, wo tüchtige Arbeit von der Kirche geleistet wird, etwa ein Versammlungshaus geschlossen werden? 1950
Ihre Mitglieder und Freunde bringen jährlich Fr. 420'000.- durch freie Gaben auf und unterhalten etwas 40 Evangelisten, 2 Pfarrer und einige Laienhelfer. 1960
Als fleissige Predigtbesucher werden die Gesellschaftsleute bezeichnet, die sich weniger, als das früher der Fall war, von der offiziellen Landeskirche absondern. 1970