Heilsame Kreativität

Thaya Thiagarajah, Traumatherapeutin und Koordinatorin von Palmyrah Sri Lanka

Stellen Sie sich vor: Sie können etwas, das für 10% der Bevölkerung Ihres Landes lebenswichtig ist und weitere 30% gut brauchen könnten. Und Sie sind die Einzige, die über dieses Wissen verfügt. Was würden Sie tun?

Thaya Thiagarajah kann, was viele brauchen. Sie ist Psychologin, feministische Theologin und die einzige tamilisch-sprechende Traumaspezialistin in Sri Lanka. 2009, nach dem Ende des Konflikts zwischen tamilischen Rebellen und der srilankischen Regierung gab es rund 300'000 intern Vertriebene, die von der Regierung in abgeschlossenen Lagern untergebracht wurden. Die meisten, nicht alle, sind unterdessen entlassen. Viele tamilische Frauen, Kinder und Männer sind vom Krieg extrem traumatisiert. In den ersten Monaten nach Kriegsende standen für die meisten Flüchtlinge die Familienzusammenführung und der Schulbesuch der Kinder an erster Stelle. Nun wird zusätzlich die Verarbeitung der Traumata immer wichtiger.

"Vor zwei Jahren ging in meiner Heimat ein dreissigjähriger bewaffneter Konflikt zu Ende, der unendliches Leid und eine geschundene Bevölkerung hinterliess: Hunderte von Dörfern waren zerstört, Menschen verstümmelt, verwaist, verzweifelt, eine ganze Generation traumatisiert. In dieser schier hoffnungslosen Situation begann unsere Kirche mit Unterstützung aus der Schweiz mit Aufbauarbeit. 'Aufbau' hat für mich zwei Bedeutungen. Es geht um den Aufbau von Gebäuden, Infrastrukturen,  politischen und sozialen Einrichtungen. Aber es geht auch um den 'Aufbau' von Menschen. Viele in meinem Land sind an Leib und Seele zerstört.."

Thaya behandelt kriegstraumatisierte Menschen – vor allem Frauen und Kinder. Sie erfindet Weiterbildungsprogramme und gibt Kurse, damit Lehrpersonen, ÄrztInnen und SozialarbeiterInnen Traumaheilung in ihren Wirkungsbereich einbeziehen können.

"Ich kann in einjährigen Trainings  Mitarbeiterinnen ausbilden. Gemeinsam bieten wir unsere Dienste an. Es ist Hilfe für Folter- und Kriegsopfer, für Entwurzelte, aber auch  Unterstützung für Menschen, die mit dem materiellen Verlust auch all ihr Vertrauen und die Zuversicht in die  Zukunft verloren haben. Die Menschen, die zu uns kommen, dürfen erfahren, dass sie nicht allein sind. Wir  zwingen sie nicht zu reden, wir nehmen sie einfach mal an, wie sie sind, vermitteln Geborgenheit und Fürsorge, und vielleicht gelingt ihnen dann in dieser Atmosphäre ein erster Schritt zur Bewältigung der Vergangenheit."

Und Thaya schreibt Gedichte (siehe "Du bist eine Frau" auf Seite 2). Ihre religiösen und politischen Gedichte sind ihre Lebensmittel inmitten der schweren Arbeit und der vielen Sorgen. Kreativität, sagt die Tamilin mit den dunklen Augenringen und dem herzlichen Lachen, ist auch für ihre Patientinnen Heilmittel.

"Die letzten Jahre waren die ereignisreichsten, gefährdetsten und unsichersten meines Lebens. Sie haben jedoch auch den Weg geebnet für Kreativität. Ich habe entdeckt, dass das Schreiben von Gedichten eine Art Therapie ist, um die Schmerzen und Leiden der Wunden der Seele und des Herzens zu heilen. Ich habe in den schwierigsten Gebieten Sri Lankas während turbulenter Zeiten gelebt. Ich habe versucht, mit der Spannung und den Gefühlen von Verlust und Depression umzugehen und dabei Gedichte als ein effektives Mittel erlebt. Sie haben mir tatsächlich geholfen, die traumatischen Erfahrungen zu überleben."

Wer traumatisiert ist, erlebt sich als ohnmächtig, wertlos, fremdbestimmt. Über das Gestalten mit Nadel und Faden, das Kochen einer nahrhaften Mahlzeit oder Rap-Musik können Frauen mit tiefen körperlichen und seelischen Wunden wieder lebendig werden, selbstbestimmt und selbstbewusst. Sie tauchen auf aus Trauer und Selbstverachtung. Sie erleben Schönheit und Freude in ihren Händen und durch ihre Hände.

"'Heilung' bekommt in dieser Umgebung einen vieldeutigen Sinn. Für einen Menschen, der im Krieg seine Beine verloren hat, kann ein Rollstuhl «heilend» wirken, weil er sich wieder fortbewegen kann. Für eine Witwe mit kleinen Kindern kann Heilung vielleicht heissen eine Ausbildung zu beginnen und selbstständig zu werden."

Palmyrah ist übrigens der tamilische Name für „Palme“ – Palme, eine Pflanze, welche Menschen nährt, ihnen Lebensnotwendiges schenkt. Der Verein Palmyrah ist ein ökumenisches Partnerschaftsprojekt zwischen den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und der Jaffna Diözese der Church of South India, Sri Lanka. Die langjährige Zusammenarbeit ermöglicht schon seit Jahren Berufsbildungskurse und Schulprojekte, die ebenfalls von Thaya entwickelt wurden. Thaya ist mit Bischof Daniel Thiagarajah verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.

Regula Grünenfelder

Zitate von Thaya Thiagrajah aufgezeichnet von Regula Grünenfelder und von Rita Jost, Redaktorin reformiert.

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