1874 – 1878 Heinrich Rettig
Bericht des Synodalrathes an die evangelisch-reformirte Kirchensynode des Kantons Bern über den kirchlich-religiösen Zustand des Kantons, die Thätigkeit der Synode und die Thätigkeit des Synodalrathes während der Amtsperiode von 1874 – 1878, im Namen und Auftrag des Synodalrathes abgelegt von H. Rettig, Pfarrer, 81 Seiten.
Der erste aller bis ins Jahr 1909 nachfolgenden Vierjahresberichte steht ganz im Zeichen des neuen Kirchengesetzes von 1874. Dieses übertrug dem Kirchgemeinderat die Beaufsichtigung, Pflege und Förderung des religiösen und sittlichen Lebens der Gemeinde, die Aufsicht über den kirchlichen Jugendunterricht, die Aufsicht über den Gottesdienst, über die Feier der Sonn- und Festtage. Entsprechend fragte der Synodalrat in den Gemeinden nach und veröffentlicht nun zu Händen der Synode den Bericht über den kirchlich-religiösen Zustand des Kantons.
In der Einleitung wird darauf hingewiesen, dass das erstmalige Einfordern einer Berichterstattung neben der bereitwilligen und eingehenden Beantwortung der gestellten Fragen es auch Widerstand gegeben hat und Zweifel, wo der Synodalrat überhaupt das Recht hernehme, von den Pfarrern einen Bericht über ihre Gemeinde zu begehren. Es wird dann erläutert, welches der Sinn der Berichterstattung sei, nämlich eine heilsame Selbsterkenntnis zu fördern, Klarheit zu verbreiten über unsere kirchlichen Ziele und Aufgaben, und uns, was besonders wichtig ist, das Bewusstsein zu stärken von der Aufgabe und der Lebenskraft unserer evangelisch-reformierten Landeskirche. Immer noch in der Einleitung werden sodann die einzelnen Regionen des Kantons beschreibend charakterisiert: Das Oberland, wo der Fremdenverkehr aufkommt; das Emmental, das mit den Sekten zu tun hat; das Seeland, das geprägt ist von Landwirtschaft und Industrie; im Erguel und Münstertal des Jura die Uhrenindustrie, freilich nicht ohne die Bemerkung: In den deutschen Gemeinden des Jura liegen die guten Jahre bereits zurück, und es ist von der darniederliegenden Industrie die Rede; von Solothurn wird gemeldet, dass die Spaltungen, die innerhalb der katholischen Kirche zutage treten, den Zusammenhang und die innere Lebenskraft der reformierten Gemeinde gefördert haben.
Es folgen nach der Einleitung die drei Abschnitte über den religiösen, kirchlichen und sittlichen Zustand mit Themen wie: Atheismus, das Auftreten von Sekten, das weit verbreitete Phänomen des Aberglaubens - was das religiöse Leben anbelangt. Das Ansehen der Kirche, Gottesdienst, Gottesdienstbesuch, Trauungen und Beerdigungen, Bezirkssynode, Sonntagsheiligung, Kinderlehre, Unterweisung, Sonntagschule und Seelsorge - was das kirchliche Leben anbelangt, und in Bezug auf die Sittlichkeit wird die Lebensweise der Bevölkerung beschrieben. Die Leute seien arbeitsam, aber auch Genuss und Luxus und Hoffart reissen ein, der Kiltgang ist ein grosses Übel, im weiteren folgen Berichte über das Familienleben, die Tagespresse, die Schule und das Vereinswesen.
Der Berichterstatter betont, dass die Kirche in eine ganz neue Phase eingetreten sei. Sie ist nicht mehr Staatskirche, wie sie dies bis 1874 gewesen war, sondern lernt nun allmählich, zur Landeskirche zu werden.
Es folgt der Geschäftsbericht der Synode. Darin aufgeführt sind die Namen aller Mitglieder der Synode, woraus sich gleich auch die damaligen Wahlkreise ablesen lassen.
Hervorzuheben an dieser Stelle ist der Beitritt des solothurnischen Bucheggberges und der reformierten Gemeinde der Stadt Solothurn zum bernischen Synodalverband durch die Übereinkunft der Stände Bern und Solothurn vom 17. Februar 1875. Publiziert ist die Liste der Mitglieder des Synodalrates, der Liturgiekommission und der Theologischen Prüfungskommission.
Mit veröffentlicht schliesslich ist der Tätigkeitsbericht des Synodalrates. Dieser hat bis zum 18. Oktober 1878 85 Sitzungen gehalten, meistens zwei an jedem Sitzungstag von morgens 9 Uhr bis zur Mittagszeit und von nachmittags 2 Uhr an bis gegen 5 Uhr, so dass für je zwei Sitzungen in der Regel nur ein Taggeld verrechnet wurde.
Der Bericht schliesst mit einer ausführlichen Tabelle über die zivile und kirchliche Statistik, aufgeteilt nach den Synodewahlbezirken über Trauungen, Eheeinsegnungen, Geburten, Taufen, Admissionen, Abendmahlsbesuch, Kirchengut, Kollekten, Sammlungen und Kirchenaustritte. Es waren deren 63 zu verzeichnen innerhalb von vier Jahren.
Der Autor dieses ersten Vierjahresberichtes, Heinrich Rettig, war Pfarrer in Wohlen, Synodeabgeordneter und erster Synodesekretär.