1903 – 1906 Rudolf Steck
Bericht über das religiöse, sittliche und kirchliche Leben der bernischen Landeskirche in den Jahren 1902 – 1906. Im Namen des evangelisch-reformierten Synodalrates erstattet durch D. R. Steck, Professor der Theologie in Bern, 115 Seiten.
Mit dem achten Vierjahresbericht macht der Synodalrat auf Grund einer Eingabe des Pfarrvereins Konolfingen den Versuch einer Neugestaltung. Die Pfarrvereine, heisst es in der Eingabe, seien eher dazu geeignet, ein inhaltreiches und treues Bild des Lebens der bernischen Landeskirche zu zeichnen, als dies den einzelnen Pfarrämtern möglich sei. Zwar erliess der Synodalrat erneut ein Kreisschreiben, dem ein Schema mit 62 Fragen beigelegt war, forderte aber die Pfarrvereine einerseits und die Pfarrämter andererseits auf, gesondert zu antworten. Entsprechend trafen in den gesetzten Fristen die 18 Berichte der 18 Pfarrvereine und 210 Berichte aus den einzelnen Pfarrämtern ein. Die Fragen an die Pfarrvereine betrafen das religiöse und sittliche, die Fragen an die Pfarrämter das kirchliche Leben.
Bei der Fülle von 13'000 Antworten war es schon allein für den Berichterstatter eine hohe Kunst, daraus einen einigermassen übersichtlichen Gesamtbericht zu erstellen. Es kann eine Zusammenfassung desselben hier auch nur aus Stichworten bestehen.
Interlaken-Obehasli berichtet vornehmlich von der Fremdenindustrie und deren Einfluss auf das religiöse Leben.
Frutigen beschreibt die ungeahnte Blütezeit des wirtschaftlichen Lebens dank der Lötschbergbahn.
Das Niedersimmental rühmt die Viehzucht der Simmentalerrasse und was das mit dem Glauben zu tun habe.
Das Amt Obersimmental-Saanen lebt infolge des anwachsenden Verkehrs und der Aus- und Einwanderung wegen in einer eigentümlichen Spannung zwischen mondän-moderner Religionslosigkeit und traditionellem, pietistischem Einfluss der Heimbergbrüder und der Evangelischen Gesellschaft.
Thun erlebt wirtschaftlichen Aufschwung, Geschäftigkeit und ein aufeinander Zugehen von Kirche und Arbeiterschaft.
Seftigen lenkt die Aufmerksamkeit auf Probleme der Landwirtschaft.
Die Stadt Bern stellt sich dar als ein Sammelbecken ungezählter religiöser Gruppierungen, die alle ihre mehr oder weniger erwünschte Propaganda betreiben.
Bern-Land, das Konglomerat von Vorortsgemeinden, wird langsam aber sicher zur Agglomeration.
Konolfingen sucht nach der gegenseitigen Verträglichkeit von Landeskirche und Vereinshaus.
Signau bewahrt die Tradition als altprotestantisches Land, durchsetzt allerdings mit viel Aberglauben und Stündelei.
In Trachselwald gelten Religion und Kirche als tief verwurzelt im Volksgemüt.
Burgdorf rühmt sich der Religionsfreiheit und klagt gleichzeitig über bedenklich leere Kirchen.
In Laupen, sagt man, entziehe sich das religiöse Leben der Beobachtung; es spiele sich im Verborgenen ab, ohne es trete in kirchlicher Form auf.
Langenthal erzählt optimistisch vom wirtschaftlichen Aufschwung und pessimistisch von manch geistigem Umschwung.
In Aarberg trägt man das Herz und damit auch die Religion nicht auf der Zunge, weiss aber was Rechttun ist und Wohltun bedeutet.
Büren erfreut sich eines regen religiösen Lebens, beobachtet aber mit Sorge die Zunahme der Verheiratung von protestantischen Töchtern mit katholischen Männern.
Nidau ist geprägt von industrieller Arbeit der Bevölkerung, ist sich des Arbeiterproblems bewusst, berichtet von der Lockerung der Familienbande, kennt aber auch viel soziales Engagement.
Der Jura mit seinen 28 reformierten Gemeinden stellt sich vor als vielfältiges Ganzes. Als ein besonderes Problem erweist sich das vermehrte Pendeln der Bevölkerung von zu Hause zum Arbeitsplatz und umgekehrt. Speziell gilt es für die reformierten Gemeinden, sich gegenüber der katholischen Kirche zu behaupten.
Die 62 Fragen an die Pfarrämter teilte der Synodalrat auf in 12 Themenbereiche. Sie betreffen: Die Kirchgemeinde und den Kirchgemeinderat; Gottesdienst, Abendmahl und Taufe; Unterweisung-Admission, Trauung und kirchliche Bestattung; das Vereinswesen und die Sonntagsfeier; die Stellung des Pfarrers in der Gemeinde und in der Öffentlichkeit, und schliesslich Ökonomisches wie Kirchengut, Gebäulichkeiten und Kollekten.
Der Berichterstatter stellt zum Schluss fest, dass das religiöse Leben möglicherweise schon abgenommen haben mag, umso stärker aber sei die soziale Wirksamkeit der Landeskirche geworden. Dies sei ein Zeichen des Lebens und nicht des Todes, entspreche nicht nur dem Zuge der Zeit, sondern sei auch im Sinn des Evangeliums.
Es folgen wie üblich die Liste der Mitglieder von Synode, Synodalrat und Prüfungskommission, sowie die kirchliche Statistik.
Der Autor dieses Vierjahresberichtes, Dr. Rudolf Steck, war Professor in Bern, Synodeabgeordneter und Mitglied des Synodalrates.