Interview Peter Gerber
Du warst von 2003 bis Koordinator der Dekade zur Überwindung von Gewalt in unserer Kirche, was waren dabei deine Hauptaufgaben?
Im Rahmen der Dekade war ich Ansprechperson für Kirchgemeinden, Friedensorganisationen, Hilfswerke und Einzelpersonen, ich arbeitete mit allen Bereichen der Gesamtkirchlichen Dienste zusammen und vertrat unsere Kirche beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund und an der Friedenskonvokation des Ökumenischen Rates der Kirchen. Die Betreuung des Fonds der Dekade, die Mitorganisation des alljährlichen Ostermarsches und die Bewirtschaftung unserer Internetseite waren wichtige wiederkehrende Schwerpunkte.
Welchen Schwierigkeiten bist du dabei begegnet?
Bei manchen Stellen hatte die Dekade nicht die Wichtigkeit, die ich mir wünschte. Einigen schien zu wenig bewusst zu sein, dass ihre Arbeit ja Dekadenarbeit im besten Sinne war, oder sie machten sich nicht die Mühe, ihr Engagement in den weltweiten, ökumenischen Kontext zu stellen. Das war schade.
Welche waren die Highlights der Dekade in unserer Kirche?
In den Kirchgemeinden begann die Dekade mit dem Kirchensonntag 2004 und dem Motto "Gewalt – eine mächtige Herausforderung". Mit der Kollekte dieses Sonntags wurde ein Fonds geäufnet, mit dem wir in den Folgejahren
43 Angebote und Veranstaltungen im In- und Ausland mit total
Fr. 159'904.45 unterstützen konnten.
Viele Jugendliche beteiligten sich an verschiedenen Filmprojekten und setzen sich dabei kreativ mit dem Thema Gewalt auseinander. Der Film "Der Gewalt auf der Spur" erhielt den internationalen "Prix Non Violence".
Am 5. Dezember 2006 wurde die Synodalen mit dem Dekadenkalender beschenkt, den sie in ihre Kirchgemeinden bringen sollten. Welche Freude! Das Gemeinschaftswerk bestand aus 32 Kalenderkarten mit Projektideen und Angeboten. Noch lange nach 2007 traf ich das von Adrian Frutiger gestaltete Schlussbild des Kalenders in Kirchgemeindehäusern oder Büros an.
Im Euro-Jahr 2008 wurde "Der Ball ist rund" an mehren Orten gezeigt. Dieses Theaterstück hat viele junge Menschen zum Thema "Fairer Handel" sensibilisiert.
Ein Highlight für unsere Kirche war der 30. Mai 2007. An diesem Tag beschloss die Synode überaus deutlich, das Engagement für die Dekade bis im Jahr 2011 weiterzuführen.
Welches waren die Highlights der Dekade nicht nur in unserer Kirche?
Mit Sibylle Mani hatten wir im Advent 2004 eine Friedensbotschafterin, die mit ihrem Fahrrad von Spiez nach Bethlehem tourte und anschliessend in mehreren Kirchgemeinden über ihre Begegnungen im Nahen Osten berichtete.
Wichtig waren all die Veranstaltungen und eine Ausstellung zum Täuferjahr. Am 29. Juli 2007 feierten in Langnau über 3'000 Alt- und Neutäufer, Mitglieder von Landes- und Freikirchen aus dem In- und Ausland einen dreisprachigen Gottesdienst.
Daneben gab es für mich einen grossen internationalen sowie einen persönlichen Höhepunkt:
Die ökumenische Friedensvokation im Mai 2011 in Kingston, Jamaika, war eine grosse Ermutigung für die fast 1000 Teilnehmenden aus aller Welt! Niemand musste diese Frauen und Männer überzeugen, dass Gewaltlosigkeit, Frieden, Gerechtigkeit zu den Kernaufgaben der Kirchen gehören.
Als es dann um das Schlussdokument ging, standen – entgegen dem vorgegebenen Zeitplan – über 60 Personen auf und verlangten Änderungen an der "Botschaft von Kingston" siehe Link: www.refbejuso.ch/gewaltueberwinden. Für mich war dieses Aufstehen wie das Wehen des Geistes, der weht, wo er will.
(Unsere Kirche wirkte in Kingston bei den Workshops "Sans-Papiers" und "Suizidprävention" mit.)
Ein persönlicher Höhepunkt war der Nationalfeiertag 2010, als ich als Gastredner zum traditionellen Gottesdienst der Mennoniten bei der Täuferbrücke im Jura eingeladen wurde. Dass ich als Vertreter jener Kirche, die früher die Mennoniten verfolgt hatte, dort eine kurze Predigt halten durfte, berührte mich sehr.
Was hat die Dekade aus deiner Sicht verändert in unserer Kirche?
Die Dekade hat vieles möglich gemacht, sie bot eine einmalige Plattform für ein vernetztes Engagement für Frieden und mehr Gerechtigkeit. Doch wir sind noch nicht am Ziel, oder wie Fernando Enns gesagt hat, "Nein, wir sind noch nicht zufrieden." (siehe vice-versa Nr. 2/2012. Siehe Link: www.refbejuso.ch/publikationen/zeitschrift-vice-versa.html
Sind weltweite Dekadenthemen aus deiner Sicht sinnvoll?
Ja unbedingt, verbinden uns doch solche Themen mit Kirchen aus der ganzen Welt und mit einer engagierten Zivilgesellschaft. So kann Ökumene ganz praktisch gelebt werden.
Welche Auswirkungen der Dekade für unsere Kirche und unsere Kirchgemeinden wünschst du dir?
Mich hat beeindruckt, wie mutig manche Kirchen im Süden in oft gefährlichen Situationen handeln. Etwas mehr von diesem Mut wünsche ich mir auch für unsere Kirche, die sich in einer – weltweit gesehen – fast einzigartig sicheren und komfortablen Situation befindet.
Ich wünsche mir, dass wir immer mehr Friedenskirche werden. Dazu gehört – gerade als reformierte Landeskirche – ein Geschichtsbewusstsein und eine mutige, klare Option für Gewaltlosigkeit, Frieden und Gerechtigkeit.
Wird das Thema weiter im Blick bleiben bei unserer Arbeit?
Ich hoffe es sehr. Das Thema der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen vom November 2013 im südkoreanischen Busan lautet: "Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden." Unsere Kirche wird an dieser Versammlung teilnehmen.
Pia Grossholz-Fahrni