Von der Pfarrhelferin zur Sozialdiakonin

Die Entwicklung der Sozial-Diakonie innerhalb der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn zielte zwischen 2001 und 2010 auf die gleichwertige Anerkennung des Dienstes am Wort und den sozialdiakonischen Diensten. Dafür wurden Strukturen aufgebrochen, Berufs- und Amtsverständnisse hinterfragt und Anforderungen und Qualifikationswege geklärt.

Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn schufen 2012 neben dem einzig ordinierten Amt, dem Pfarramt, zwei weitere Ämter: dasjenige der Katechetin/des Katecheten sowie das der Sozialdiakonin/des Sozialdiakons. In der Vergangenheit übernahmen während langer Zeit vorwiegend Frauen als Gemeinde- oder Pfarrhelferinnen wichtige und in der Öffentlichkeit sichtbare Dienste in den Kirchgemeinden. Diese Frauen waren in der Kinder- und Jugendarbeit oder in der Seniorenarbeit in einer untergeordneten und nicht näher definierten Stellung tätig. Früh wurde erkannt, wie wertvoll und notwendig sozialdiakonische Dienste waren und dass diese aufgewertet werden sollten. Der Entwicklungsweg der Sozial-Diakonie begann sich abzuzeichnen und wurde überzeugt beschritten. 1987 erliess der Synodalrat Richtlinien "Gemeindehelfer(in) als hauptberufliche Tätigkeit in der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Bern" und vierzehn Jahre später ersetzte die Sommersynode den Begriff "Gemeindehelferinnen, Gemeindehelfer" durch die Bezeichnung "Sozial-Diakonische Mitarbeitende".

Nomen est Omen

Namen seien mehr als Kosmetik, betonte 2001 Synodalrätin Susanne Graf in ihrem Appell an die Synode für eine Anpassung der Kirchenordnung. Tatsächlich stand viel mehr hinter der Namensänderung. Die verabschiedeten Richtlinien betrafen die Berufsanforderungen, die Aus- und Weiterbildungen sowie die Anerkennungs- und Wählbarkeitsverfahren. Die Sommersynode 2001 beschloss, nebst der Namensänderung in Sozial-Diakonische Mitarbeiterin oder Sozial-Diakonischer Mitarbeiter auch die freiwillige Ordination in der Kirchenordnung zu verankern.

Fred Hallauer, seit 25 Jahren als Jugendarbeiter in der Kirchgemeinde Thun-Strättligen, erinnert sich: "Den Namen "Pfarrhelfer" akzeptierte ich nie, hier im Team waren wir Sozialarbeiter immer gleichwertig integriert, auch der Begriff SDM stimmte für mich nicht. Ich bin weder ein Pfarrhelfer noch verstehe ich mich als Mitarbeiter. Draussen trete ich seit jeher in der Funktion "Jugendarbeiter" auf, das ist klar und ausreichend. Die Ausbildung interessiert die Leute weniger, als das was geboten wird." Ein bedeutender Schritt sei für ihn die Verankerung des Begriffs "Jugendseelsorge" und nicht nur "Jugendberatung" im Konzept Jugendarbeit der Kirchgemeinde gewesen. Diese Ergänzung verlangte der verstorbene Pfarrer und ehemaligen Synodalrat Michael Dähler. Jugendseelsorge mache einen grossen Teil der Arbeit in Thun-Strättligen aus.

Mehr als ein Job

In der Kirchgemeinde Thun-Strättligen teilen sich Fred Hallauer und seine Kollegin die 150 Stellenprozent Jugendarbeit. Er sei zwar länger dort, aber nicht der Chef. Er mache etwas weniger Sozialberatungen und sei dafür ab und zu in der Schule anzutreffen. Die Arbeit für die Kirche sei gut, er geniesse die grosse Flexibilität, die auch Kreativität fordere."Wenn man nur einen Job machen will, ist die Kirche der falsche Ort." Fred Hallauer ist mit Herz und Seele Jugendarbeiter. Als junger Mann war er bei der "Jungen Kirche Basel" aktiv – er sei ein "rebellischer Christ" gewesen - wurde Chemielaborant und widmete seine Freizeit der Musik. Der Beruf führte in nach Bern zur Firma Wander. "Die Laborarbeit verkam je länger je mehr zu einem einsamen Job. Inspiriert durch eine Mitstreiterin in der Personalkommission beschloss ich, trotz meinen etwas mehr als 30 Jahren Sozialarbeit zu studieren.

In der Kirchgemeinde Münsingen gehören die Seniorenarbeit, die Freiwilligen-Koordination und sozialfachlichen Beratungen zum Aufgabengebiet von Ursula Käufeler. Die Mutter zweier erwachsener Kinder realisierte ihren Wunsch, in der Sozialdiakonie zu arbeiten, als die Kinder im Teenageralter waren. Während einigen Jahren war Ursula Käufeler in der Sonntagsschule der Kirchgemeinde Münsingen engagiert. 1997 folgte der Einstieg in die KUW als Mitarbeiterin. "Aber das reichte mir nicht, ich wollte eine zweite Ausbildung im kirchlichen Bereich absolvieren. Mein erster Beruf ist Pflegefachfrau Psychiatrie. Ich entschied mich für das Theologisch-Diakonische Seminar Aarau (TDS), wo ich ein Vollzeitstudium absolvierte und mich zur Sozial-Diakonischen Mitarbeiterin ausbilden liess."

Doppelte Qualifizierung

Sie wählte das TDS, weil für sie theologisches Rüstzeug zum Profil der sozialdiakonischen Arbeit gehört. Das TDS sei zurzeit auch die einzige Ausbildungsstätte mit einem integrierten Lehrgang, der sowohl kirchlich-theologisch als auch fachlich zur Sozialdiakonin oder zum Sozialdiakon qualifiziere. Das Seminar hat die Vermittlung sozialfachlicher Kompetenzen laufend ausgebaut, wodurch alle Voraussetzungen für die Berufsausübung gegeben seien, erläutert Ursula Käufeler. Seit 2009 arbeitet sie als Sozialdiakonin zu 70% in der Kirchgemeinde Münsingen. "Ja, ich wurde als Sozialdiakonin angestellt, die Kirchgemeinde wählte bewusst diese Berufsbezeichnung im Wissen um den laufenden Prozess der Beauftragung."

In den Jahren 1991 – 2001 nahm der Anteil gut qualifizierter Sozialarbeiterinnen und -arbeiter in den Kirchgemeinden (vorab in den grösseren) signifikant zu. Die "kirchlichen Sozialarbeitenden" übernahmen diakonische Aufgaben in Eigenverantwortung, die weit über die früheren Hilfestellungen für Pfarrpersonen hinausgehen. Mit der Teilrevision der Kirchenordnung von 2001 wurden dieser Entwicklung Anerkennung gezollt und der Prozess rund um die Qualifizierung und Ausbildung von Sozial-Diakonischen Mitarbeitenden intensiviert. Innerkirchlich mündete er 2002 in der neuen "Verordnung über die Sozial-Diakonische Arbeit im deutschsprachigen Gebiet der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn". Auf interkantonaler Ebene erarbeitete die Diakonatskonferenz DDK - die Refbejuso gehören ihr seit 1991 an - die 'Mindestanforderungen zur sozialdiakonischen Berufsausübung'. 2007 einigte sich die DDK auf die doppelte Qualifizierung zur Sozialdiakonin, zum Sozialdiakon (= sozialfachliche und kirchlich-theologische Qualifizierung zum Beruf Sozialdiakonin und Sozialdiakon). Kraft Ratifizierung durch den Synodalrat gilt diese doppelte Qualifizierung auch im Kirchengebiet. Ab 2009 wurden die Grundlagen zur Schaffung des sozialdiakonischen Amtes erarbeitet, das im Sommer 2012 eingeführt wurde. Damit erfüllt die Kirche die 1991 (im Rahmen der Übereinkunft sozial-diakonische Dienste der Diakonatskonferenz) eingegangene Verpflichtung, ‚den Dienst am Wort und den sozial-diakonischen Dienst als gleichwertigen Dienst’ zu anerkennen.

Unverzichtbare Dienste

Das Schulwesen, die Krankenpflege, vieles, was heute selbstverständlich als staatliche Aufgabe angesehen wird, entstand als kirchliches Werk. "Heute soll die Kirche ein guter Partner sein. Hier in Münsingen gelingt uns das gut", berichtet Ursula Käufeler. "Wir spüren die Wertschätzung, die Sozialdiakonie ist wichtig für Münsingen. Wir sind gut vernetzt mit der politischen Gemeinde." So auch in der Seniorenarbeit. Es sei wichtig "etwas gegen die Vereinsamung älterer Menschen zu tun". Nebst verschiedenen Gruppen, wo sich Seniorinnen und Senioren gemeinsamen Interessen widmen, bietet die Kirchgemeinde Münsingen auch Reisen für Senioren und Seniorinnen an. Die sozialfachlichen Beratungen nähmen zu, stellt Ursula Käufeler fest. Familien die unter die Kategorie "working poor" fallen, suchen Unterstützung: "Zum Beispiel, wenn das Kind gutes Schuhwerk für eine Schulreise braucht und das Budget dafür nicht ausreicht." Eine weitere Zunahme solcher Anfragen sei absehbar.

Der Jugendtreff 501 der Kirchgemeinde Thun-Strättligen orientiere sich an christlichen Werten, missioniert werde aber nicht, sagt Fred Hallauer. In den über zwanzig Jahren 501 erlebte der Jugendarbeiter oft genug, wie wichtig die Gemeinschaft des Jugendtreffs ist: Ein Suizid wurde verhindert, gemeinsam Traumata nach einem Tötungsdelikt und dem damit verbundenen Verlust eines Kollegen verarbeitet und andere schwere Lebenssituationen ausgehalten.

Die Einblicke in die zwei Kirchgemeinden Münsingen und Thun-Strättligen zeigen, wie die sozialdiakonischen Dienste wirken und von der Bevölkerung geschätzt werden. Die Kirche hat stets Menschen für die Erfüllung unverzichtbarer Dienste speziell berufen. Nachdem lange nur der Verkündigungsdienst durch das Wort (Predigt, Pfarramt) als unverzichtbarer Dienst anerkannt wurde, gelten heute auch die Katechetik und die Sozialdiakonie als solche. Womit die vielerorts gelebte Realität, der unverzichtbaren - auch gesellschaftlich notwendigen – Dienste in die Struktur und Rechtsordnung der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn eingebunden ist.

Barbara Richiger

Ursula Käufeler: von der KUW-Mitarbeiterin zur Sozialdiakonin in der Kirchgemeinde Münsingen.

Hinweis

Weiterführende Informationen zu diesem Thema enthält das Buch Datenerhebung.