Wir konnten Missverständnisse ausräumen

Urs Eugster vertritt in der Gesprächsgruppe Landeskirchen/Gemeinschaften die Geschäftsleitung des Evangelischen Gemeinschaftswerks EGW.

Urs Eugster, das EGW sieht sich als Teil der reformierten Landeskirche. Wie sieht sie darin ihre Aufgabe?

Aufgrund unseres pietistischen Erbes stützen wir die reformierte Landeskirche, zu der wir uns seit unserer Gründung vor über 180 Jahren bis heute gehörig fühlen, und in ihr besonders Menschen, die sich Christus zugehörig fühlen. In früheren Jahren waren EGWler oft ehrenamtlich in der Landeskirche tätig, etwa in Kirchgemeinderäten oder in der Kinderarbeit. Dieser Anteil hat abgenommen, weil in den Kirchgemeinden ebenso wie in Gemeinden des EGW die Anforderungen gewachsen sind; dies macht es schwieriger, sich an beiden Orten zu engagieren.

Was haben die Treffen zwischen EGW und reformierten Kirchen im Verhältnis der beiden Organisationen verändert?

Man muss festhalten: In früheren Jahren war das Verhältnis nicht gut; beide Seiten waren gegeneinander kritisch eingestellt. Seitdem 1997 erste Gespräche stattgefunden hatten, haben sich die Beziehungen aber merklich verbessert. Heute kenne ich die Leute der Landeskirche, und sie kennen mich. Wenn man sich persönlich kennengelernt hat, wird man kaum mehr negativ übereinander sprechen.

Gab es in Sachfragen Annäherungen?

Neben der persönlichen Annäherung konnten wir bei den Gesprächen einige Missverständnisse ausräumen. Beispielsweise in Bezug auf das Bibelverständnis. Es herrschte die Meinung, dass wir im EGW auf eine fundamentalistische Verbalinspiration der Bibel pochen. Das stimmte vielleicht vor 30 Jahren, heute hingegen sind wir viel differenzierter. Wir haben kein fundamentalistisches Bibelverständnis, aber wir trauen Gott durchaus zu, dass er durch einen Text zu den Menschen sprechen kann.

Ähnlich war es in der Frage des Taufverständnisses. Hier zeigte sich, dass die Wiedertaufe kaum ein Thema ist. Sowohl bei uns wie auch bei anderen Gemeinschaften werden ganz wenige Wiedertaufen vollzogen – und wenn, dann nur aus seelsorgerlichen Gründen.

Gab es auch Unterschiede, die blieben?

Wo wir uns tatsächlich unterscheiden, sind ethische Fragen. Hier sind die Gemeinschaften konservativer als die reformierten Kirchen. Betrachtet man jedoch die weltweite Kirche, dann sind es eher die Reformierten, die ausscheren, nicht wir.

Wo sehen sie die Stärken der Landeskirchen und des EGW?

Eine der Hauptstärken der reformierten Kirchen sehe ich in ihrer Volkskirchlichkeit. Sie ist offen für alle und auch heute noch sehr gut in der Gesellschaft verankert und akzeptiert. Dank ihrer Finanzkraft kann sie gewährleisten, dass Menschen an den Eckpunkten des Lebens, wie Geburt, Erwachsenwerden oder Tod, seelsorgerlich begleitet werden.

Die Stärke des EGW ist der Gemeinschaftssinn, auch über Generationen hinweg. Auch jüngere Menschen lernen, den Glauben von 80-Jährigen zu achten – anders als etwa in Trendkirchen. Auch ihre Konstanz ist eine Stärke des EGW: In ihrer Geschichte gab es kaum überbordende Bewegungen oder grössere Brüche. Im heutigen EGW sind seine Wurzeln von vor 180 Jahren noch immer erkennbar.

Und die Schwächen?

Da sehe ich bei der reformierten Kirche in erster Linie ihre Bekenntnisschwäche, die zu einem Profilverlust führen kann. Sie steht in der Gefahr, zu einem reinen Gesellschaftsverein zum Wohl der Öffentlichkeit zu verkommen.

Die Schwäche des EGW hingegen ist, dass seine gesellschaftliche Relevanz bescheiden ist. Würden wir als Organisation von heute auf morgen verschwinden, würden dies wohl die wenigsten Menschen bemerken.

Thomas Uhland